Bundesverfassungsgericht entscheidet über Rundfunkbeitrag

Sachsen-Anhalts Blockade der Beitragserhöhung war eine verfassungswidrige Pflichtverletzung zulasten der Rundfunkfreiheit

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in Karlsruhe fiel am 20.Juli 2021 und stellte klar, dass die Bestimmungen des Artikel 1 des Ersten Medienänderungsstaatsvertrags mit Wirkung dieses Tages bis zum Inkrafttreten einer staatsvertraglichen Neureglung über die funktionsgerechte Finanzierung durch den Rundfunkbeitrag gelten. Dieser sah eine Erhöhung des Beitrags von 17,50 EUR auf 18,36 EUR pro Haushalt ab Anfang 2021 vor.

Die Auswirkungen der unterbliebenen Beitragsanpassung wären nach einer Stellungnahme der KEF zu beurteilen und entsprechende Kompensationserfordernisse durch einen neuen Änderungsstaatsvertrag zum Erhalt der Funktionsfähigkeit der Rundfunkanstalten entsprechend zu berücksichtigten.

Das BVerfG hob hervor, dass die Ausgestaltung der Aufgabenfunktionalität nicht Gegenstand des zugrundeliegenden Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrags (RFinStV) sei, und politisch strittige Ausgestaltungs-Fragen demnach keinen Einfluss auf den grundrechtlichen Finanzierungsanspruch des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks haben kann.

Über die fragliche Beitragserhöhung hinaus sind aus Sicht des Bundesverband Produktion Film und Fernsehen e.V. auch die Klarstellungen der Begriffe von Rundfunkfreiheit, des Dualen Rundfunks sowie der Bestands- und Entwicklungsgarantie des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks von grundlegender Bedeutung (siehe Absatz 75 ff des Beschlusses).
Im Hinblick auf das Gebot der Trennung der medienpolitischen Konkretisierung des Rundfunkauftrags einerseits und der Beitragsfestsetzung andererseits, wird festgestellt, dass diese Trennung nicht aus sich selbst heraus “hinreichend effektiv” sei, und daher insbesondere einer prozeduralen Absicherung bedürfen. Deren wesentliche Punkte arbeitet das Verfassungsgericht anhand des bestehenden Systems exemplarisch heraus (Absatz 90ff des Beschlusses).

Der vorliegende Beschluss des BVerfG bietet also in Summe eine sehr grundlegende und kompakte Betrachtung der Säulen der Rundfunkfreiheit, und er wird seine Wirkung so auch in zukünftig zu erwartenden gesetzlichen bzw. staatsvertraglicher Änderungen entfalten.

Allgemeine Informationen zum Beschluss enthält die Pressemitteilung Nr.69/2021 des Bundesverfassungsgerichts vom 05.August 2021.

Der fragliche Beschluss zu den Rechtssachen 1 BvR 2756/20, 1 BvR 2777/20, 1 BvR 2775/20 vom 20.Juli 2021 findet sich unten auch als PDF-Download.

Sicherheit für die Freie Filmproduktion?

Durch den nun gerichtlich bestätigten Staatsvertrag sollte eine durch die KEF festgestellte Finanzlücke von 1,5 Milliarden Euro zwischen 2021 und 2024 ausgeglichen werden. Damit dieser wie geplant Anfang 2021 in Kraft treten hätte können, fehlte allerdings die Zustimmung Sachsen-Anhalts. Der Ministerpräsident des Landes, Reiner Haseloff von der CDU, hatte den Gesetzentwurf am 8. Dezember 2020 vor der Abstimmung im Landtag zurückgezogen, weil sich abzeichnete, dass seine Partei die Erhöhung nicht mittragen würde und eine Zustimmung des Landtags so von den Stimmen der Oppositionsfraktion der AfD abhängig geworden wäre.

Durch den Beschluss aus Karlsruhe wurde nun mittelbar auch die Finanzplanung der freien Produktionswirtschaft in Deutschland vor parteipolitischen Vorstößen zumindest vorläufig abgesichert. Denn das Auftragsvolumen der öffentlich-rechtlichen Sender ist unverändert der größte Finanzierungsanteil vom Produktions-Gesamtvolumens der Filmproduktion in Deutschland.
Der politische Diskurs zur Neuregelung des Funktionsauftrags des öffentlich-rechtlichen Rundfunks läuft allerdings auf Hochtouren. Bis Anfang 2023 wollen die Länderparlamente neue Fakten schaffen, und die unterschiedlichen Ansätze hierzu werden teils sogar im laufenden Bundestagswahlkampf sichtbar. Und im vorliegenden Fall wurde das politische Streben nach einem gestalterischen Durchgriff auf die Arbeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunk sichtbar. Spätestens in dieser Frage wird unsere Branche also die Auswirkungen der Qualitäts-Diskussionen rund um das deutsche Fernsehen direkt zu spüren bekommen.

Mit Medienstaatsvertrag und Filmfördergesetz werden in den kommenden Monaten die Weichen für die deutsche Produktionswirtschaft neu gestellt, und damit wird auch der Rahmen für die dramatisch überfällige nachhaltigere Ausrichtung der Branche neu justiert – im kulturellen, wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Sinne. Innerhalb dieses Rahmens werden Fragen zu klären sein, in welchem Umfang regionale Nachhaltigkeitsziele ohne steigende Investitionen internationaler Auftraggeber überhaupt erreichbar erscheinen, und ob regionale Nachhaltigkeitsziele auf einem weniger staatlich alimentierten, internationalen Medienmarkt überhaupt realistischer erscheinen oder nicht.