DAfF-Podium zum Fachkräftemangel

Warum gibt es keine “Arbeitsgruppe Aus- und Fortbildung Film”?

 

Das Faktum des Fachkräftemangels in der Filmproduktion wurde bereits 2019 konstatiert

Die Bestandsaufnahme fällt dann doch ernüchternd aus: Bereits vor 2 Jahren wurde auf einem Panel der Deutschen Akademie für Fernsehen / DAfF konstatiert, dass der Fachkräftemangel in unserer Branche immanent sei, und in der Praxis permanent festzustellen. Weitere Fachgespräche, sei es ein Panel der ZAV Künstlervermittlung auf der Berlinale 2020 oder auch ein Fachworkshop des Mediennetzwerk Bayern am 10.März 2020 bestätigten diese Einschätzung. Das Auftreten von Netflix sowie weiterer PayTV und Streaming-Anbieter als Produktions-Auftraggeber auf dem deutschen Markt bindet in zunehmendem Maße umfangreiche Teams. Und spätestens mit den durch die SARS-CoV-2-Pandemie ausgelösten ersten Lockdown sowie den entsprechenden Nachholeffekten durch unterbrochene oder verschobene Projekte seit der zweiten Jahreshälfte 2020 ist evident, dass der Personal- und Fachkräftemangel zum Hemmschuh der Branche wird. Leider sorgte die Pandemie gleichfalls dafür, dass das Thema Anfang 2020 wieder in der Versenkung verschwand. Was ein Weckruf hätte sein sollen, trat angesichts akuter Prioritäten in den Hintergrund.

In seiner Keynote zum DAfF-Podium “Gemeinsam in die Zukunft – Fachkräfte- und Nachwuchsmangel” im Rahmen der “Tage der Akademie” am 12. und 13.November 2021 stellt Stefan Ottenbruch, Vorstandsmitglied der DAfF, nun klar: Nur ein durch Fachkräfte und auf ein solides Fundament gebautes Haus hat Bestand. Während Filmhochschulen für einen konstanten Produzenten-, Autoren- und Regie-Nachwuchs (um beim Bild zu bleiben: “für ein Dach”) sorgen, ist es um die Ausbildung der sonstigen Gewerke beim Film schlecht bestellt. Und Fortbildungen oder zumindest die lebenslange Weiterbildung – mittlerweile ein Imperativ für langfristig angelegte Erwerbslaufbahnen in Deutschland – finden in der Branche kaum die nötigen Rahmenbedingungen oder Unterstützung.

Warum spielt Berufsbildung in der Filmbranche eine so untergeordnete Rolle? Aus Sicht der personalverantwortlichen Herstellungs- und Produktionsleiter Deutschlands ist zu konstatieren, dass Investitionen der Branche in die Qualifikation von Mitarbeitern regelmäßig an der systemischen Dominanz der an das eigentliche Produkt bzw. an kurze Projektzyklen gebundenen Investitionen und Branchenförderungen scheitern, und den Produzenten gilt Weiterbildung im Zweifel als Wettbewerbsnachteil. Die kurzfristige Projektstruktur der Branche schließt regelhaft das gegenseitig verbindliche Element einer mittel- oder langfristigen Personalentwicklung aus. Darüber hinaus wird ein Teil der Arbeits- und Werksleistungen innerhalb der Branche auf selbstständiger Basis erbracht – eine Folge der “Ich-AG”-Politik der Jahrtausendwende. Die “branchenübliche Vergütung” lässt hierbei kaum je Raum für Handlungskosten (HU’s), sodass der Erlös dieser Solo-Unternehmer in Gänze in den persönlichen Lebenshaltungskosten aufgeht und mit den nötigsten unmittelbar tätigkeitsbezogenen Re-Investitionen bereits erschöpft ist. Auch die Arbeitnehmer müssen ihre berufsbegleitenden Weiterbildungen in der Regel selbst finanzieren: Denn nur ein kleiner Teil der Bildungsangebote mit Branchenbezug qualifiziert sich für öffentliche Förderung im Rahmen von staatlichen Programmen zur beruflichen Weiterbildung.

Und so erschöpft sich das Interesse an beruflicher Qualifikation innerhalb der Branche – mit Ausnahme der oben genannten Hochschulausbildungen – in der Regel im Prinzip “Learning by Doing”, also einem Anlernprozess der jeweils benötigten Fertigkeiten zur Ausübung der in der Branche weitgehend gefragten Spezialisten-Berufe.
Dieses System funktioniert nun seit mehreren Jahren nicht mehr. Der Nachwuchs – mit oder ohne Vor-Qualifikationen – findet seinen Weg in die Branche nicht im benötigten Maße.

Der brancheneigene Anlernprozess für die Spezialistenberufe der Filmschaffenden zeigt Erosionserscheinungen

Die Kandidaten, die sich für die Branche tatsächlich interessieren, finden in der Filmproduktion ein deutlich “geschlosseneres” System vor, als noch vor einigen Jahren, und dafür sind zwei potenzielle Gründe auszumachen. Zum einen scheint die Einführung des Mindestlohns im Jahr 2015 zu einer signifikanten Abnahme von Praktikantenstellen geführt zu haben. Die strenge Auslegung des Mindestlohns intendierte ja unter anderem durchaus die Besserstellung der vielbeschworenen “Generation Praktikum”. Pflicht- und auch Orientierungspraktika sind seitdem in Grenzen möglich, doch die fortgesetzte Abfolge von Praktika zum Zwecke der Einübung erlernter Fertigkeiten in der Praxis (unter Zahlung von Gehältern, die teils eklatant unter denen von Auszubildenden zu staatlich anerkannten Berufen lagen), ist seitdem untersagt. Auch wenn niemand gerne darüber spricht, doch dieses auf Selbstausbeutung oder familiäre Unterstützung bauende System der beruflichen Qualifizierung, war durchaus weit verbreitet – auch in der Medien- und Filmbranche. Das Ergebnis des neuen Mindestlohns war jedenfalls, dass in der Filmproduktion für Abteilungs-Helfer nun zwar nun ein Maß einer “angemessen Vergütung” existierte, dass dafür aber die Anzahl dieser Stellen einem massiven Kostendruck unterlag.
Zum anderen sind zunehmende und ernstzunehmende Bedenken zu vernehmen, dass Vorgesetzte und Kollegen von Nachwuchskräften für eine angemessene Anleitung und Aufsicht innerhalb dieser nun komprimierten Anlernphase schlicht die erforderliche Zeit fehlt. Zum Maßstab für eine “erfolgreiche” Hilfstätigkeit wird in zunehmendem Maße die geräuschlose und unauffällige Eingliederung am Set. Raum für Nachfragen, Ausprobieren oder gar eigene Fehler, aus denen man lernen könnte, bleibt hier kaum.

Aus dieser Gruppe von Helfern rekrutieren sich normalerweise die Kandidat*innen für die weiterführenden Assistenzberufe beim Film.
Und es gibt Grund zu der Vermutung, dass es nicht oder nicht nur der niedrige Mindestlohn ist, welcher diese Art der beruflichen Qualifikation in zunehmendem Maße unattraktiv erscheinen lässt, sondern in Verbindung hiermit auch die oben genannten prekären Qualifikationsbedingungen für ungelernte Mitarbeiter eine Rolle spielen.
Wieviel mehr muss dies für jenen Nachwuchs gelten, welcher bereits eine abgeschlossene Berufsausbildung mit vergleichsweise geregelten Lernbedingungen in der Tasche hat.

Nicht zuletzt auch die schonungslosen Auswirkungen der Pandemie auf unsere Arbeitsabläufe machten zuletzt sogar sichtbar, dass die branchen-immanenten Schwächen bei der Unterweisung, Anleitung und Weiterbildung von Mitarbeitern in der Filmproduktion ganz konkrete Auswirkungen auf den betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz haben (siehe “Wo keine Scheinwerfer leuchten: Die Grenzen von Arbeits- und Coronaschutz in der Filmbranche” vom März 2021).

Wenn man dem Ruf unserer Branche folgt, verabschiedet man sich oftmals von den beruflichen Perspektiven und Fortbildungsmöglichkeiten, welche einem mit einer Ausbildung in der freien Wirtschaft und dem System der staatlichen (und europäischen) beruflichen Bildung im Rahmen des Deutschen Qualifikationsrahmens DQR oder des europäischen EQR offenstehen. Qualifizierter Nachwuchs wechselt heute statistisch gesehen während des Erwerbslebens viermal die Branche – und dies ohne zwangsläufigen Bruch in der Qualifikations-Vita. Dies ist nicht etwa den individuellen Launen der Protagonisten geschuldet. Es handelt sich vielmehr um eine Entwicklung, die als wünschenswertes Ziel der jüngeren Reformen der beruflichen Bildung in Deutschland erkoren wurde (Stichwort: Verbesserung der Durchlässigkeit der Erwerbswelt) – und hieran lassen sich die Erwartungen des heutigen Nachwuchses messen.
Die oft zu vernehmende Annahme, dass die jüngeren Generationen nicht leistungsbereit genug für die hohen Anforderungen unserer Branche seien, greift zu kurz. Wenn wir uns nicht selbstkritisch die Fragen beantworten können, was wir Bewerbern denn für ihre Entwicklung tatsächlich bieten können, und warum wir in der Konkurrenz um Arbeitskräfte ins Hintertreffen geraten sind, wird es keine wirtschaftliche oder künstlerische Entwicklung in der Filmbranche geben.

Kurzum: Der Erhalt einer Branche von Filmspezialisten erfordert Maßnahmen, welche über Ad-hoc “Fit for the job”-Ertüchtigungen hinausgeht.

Impulse müssen von den Akteuren der Filmbranche selbst kommen

Bernhard Speck, Vorstandsmitglied des Bundesverband Produktion Film und Fernsehen e.V., welcher das Podium der DAfF leitet, stellt klar, dass von den öffentlich-rechtlichen Sendern als größte Auftragsgebergruppe der Branche keine verantwortlichen Impulse in Bezug auf die Nachwuchsförderung der freien Produktionslandschaft zu erwarten seien. Ihr Auftrag gemäß entsprechenden Staatsverträgen ist sehr klar in Bezug auf die Verwendung der Beitragsmittel. Die Verantwortung liegt bei den Unternehmen der produzierenden Branche selbst.
Eine Erhöhung der anerkannten, pauschalen Handlungskosten (HU’s) dieser Unternehmen wäre inhaltlich jederzeit kritisch zu hinterfragen, solange ihr Einsatz erkennbar nicht der Verantwortung für die wirtschaftliche, soziale und ökologische Nachhaltigkeit der Branche verpflichtet ist. Ein jüngst erfolgter Vorstoß im Wirkbereich der Beauftragten für Kultur und Medien des Bundes BKM kann vor diesem Hintergrund nur als bemerkenswerter Vertrauensvorschuss gewertet werden, der zur Nachahmung durch andere Sachwalter öffentlicher Mittel nur bedingt geeignet ist. Denn die Branche hat ihre Aufgaben hinsichtlich des Einsatzes öffentlicher Mittel und der damit verbundenen Compliance in guten Teilen noch nicht wirklich wahrgenommen.

Auf dem Podium bringt Donald Jänichen, Bereichsleiter Produktionsmanagement in der Programmdirektion des ZDF die Herausforderungen der Branche auf den Punkt: Es ist wichtig, den Mitwirkenden der Branche eine Erfahrungs- und Entwicklungsperspektive zu geben. Die Digitalisierung und der technologische Schub, welcher sich aus dem umwelt- und ressourcenschonenden Produzieren ergeben wird, sowie die Differenzierung des Produktionsmarktes müssen bei Gedanken an eine umfassende Qualifizierung und Ausbildung zusammengebracht werden, entfalten sie doch sowohl eine technisch-handwerkliche, aber auch eine künstlerische Wirkkraft. Schon allein vor diesem Hintergrund und dem entsprechenden Bedarf an qualifizierten Mitwirkenden stelle sich die Frage, warum es (analog zum Arbeitskreis Green Shooting) keinen “Arbeitskreis Aus- und Fortbildung im Medienbereich” gibt, unabhängig von Konkurrenz-Situationen und unterschiedlicher Ausrichtung der Branchenteilnehmer, um zu partizipieren und voneinander zu lernen. Das Wichtigste, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk zu so einem Setting beitragen kann, ist aus Sicht von Donald Jänichen das (nicht zu unterschätzende) Element der langfristigen Verlässlichkeit, es sind aber auch die eigenen Erfahrungen im Bereich der Mitarbeiterqualifikation.

Der Deutschen Akademie für Fernsehen selbst geht es bei diesem Thema nicht zuletzt auch um die Anerkennung der Berufsbilder der unterschiedlichen Filmgewerke und ihrer Arbeit. Die Branche braucht eine länderübergreifende, vergleichbare Entwicklung in der Berufsqualifikation auf Basis anerkannter Qualitätsstandards, umso mehr als die berufliche Bildung in Deutschland in der Kompetenz des Bundes liegt, wie Bernhard Speck betont. Es braucht eine längerfristige Perspektive, welche über “das Klein-Klein” von Ad-hoc Qualifizierungen hinausweist, aber ggf. auf diese aufbaut. Er greift Signale aus der Akademie auf, sich für eine verstetigte Behandlung dieser Fragen einzusetzen, und fordert sie auf: “Der Bedarf und die allseitige Bereitschaft ist vorhanden. Fangt an, diesen Runden Tisch zusammenzustellen, und Streamer, Sender, Produktionsunternehmen und Verbände in dieser Frage an einen Tisch zu bringen und einen konkreten Fahrplan zu erarbeiten. Es ist Zeit zu handeln.”

Eine Aufzeichnung des DAfF-Podiums vom 13.November 2021 findet sich im Youtube-Kanal der DAfF: https://youtu.be/Wv7Ph4gDmK0