Wo keine Scheinwerfer leuchten: Die Grenzen von Arbeits- und Coronaschutz in der Filmbranche

Die Berufsgenossenschaft BG ETEM schließt E-Castings in privatem Umfeld in ihre Corona-Handlungsempfehlungen ein.
Der Branchenstandard für Corona-Schutzmaßnahmen in der Filmproduktion wurde von der BG ETEM am 08.März 2021 erneut aktualisiert – und wieder wurden damit Erkenntnisse und Empfehlungen aus der Branche zuverlässig aufgegriffen.

Diesmal waren es der Bundesverband Casting (BVC) und die Schauspielergewerkschaft BFFS, die im Februar öffentlichkeitswirksam darauf aufmerksam machten, dass die bisherigen Corona-Leitlinien zum Casting von Rollen dazu geführt hatten, dass dieser Teil der Schauspieltätigkeit regelmäßig in Form von sogenannten E-Castings stattfand und ebenso regelmäßig in das private Umfeld der Akteure verlagert wurde.
Womit es aus dem Blickfeld der betrieblichen Abläufe und der zugehörigen Schutzkonzepte verschwand.

In der Praxis wurde nun festgestellt, dass in E-Casting-Einladungen (inklusive der entsprechenden inhaltlichen Vorgaben) oftmals empfohlen wurde, sich die nötigen Anspielpartner für die szenische Darstellung doch einfach im privaten Umfeld selbst zu suchen.

Das Problem dabei: Bei E-Castings handelt es sich nicht um eine Variante elektronischer Bewerbungsgespräche, sondern um die Beauftragung der Erstellung und Abgabe von spezifischen Arbeitsproben. Daher greift die blosse Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel bei der Übermittlung der Arbeitsprobe als betriebliche Schutzmaßnahme für den Casting-Prozess zu kurz. Und hierauf hatten sich in der Tat die Empfehlungen aus der Branche bis vor Kurzem beschränkt.

Die BG ETEM greift diese Tatsachen nun auf und stellt klar, daß die Delegierung von unternehmerischer Letztverantwortung bei der Beauftragung von Tätigkeiten kein gangbarer Weg sei. Im gegebenen Fall seien die Hygieneregeln durch den Auftraggeber aktiv zu gestalten – von der Auswahl von Vorsprechszenen bis hin zu Aufklärungspflichten über die einzuhaltenden Hygienevorschriften mit der Einladung zu E-Castings, verbunden mit der klaren Verpflichtung zur Mitwirkung bei der Umsetzung. Und eben auch in jenen Fällen, wenn die Aufnahmen nicht “im betrieblichen Umfeld” entstehen.

“Werden die Vorstellungs-Videos, wie beim E-Casting, im privaten Umfeld gedreht, sollten möglichst nur Vorsprechszenen ausgewählt werden, welche keinen Anspielpartner und keine anderen technischen Helfer während der Aufnahmen benötigen.”

“Die Darsteller sind im Rahmen der Einladung zum E-Casting zu informieren, dass Einsendungen nur mit Bestätigung der Einhaltung der Hygieneregeln, einschließlich Teststrategie nach Schutzstufenkonzept, akzeptiert werden.”
(Quelle: BG ETEM SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard für Filmproduktionen vom 08.März 2021, Ziffer 16)

Empfehlung mit Signalwirkung
Mit dieser Empfehlung schließt die BG ETEM keinesfalls eine arbeitsrechtliche Lücke, sondern sie macht exemplarisch und branchenspezifisch den Geltungsbereich des Arbeitsschutzgesetzes klar, wie er zuletzt auch vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) bei der Vorstellung der Corona-Arbeitsschutzverordnung in Bezug auf Tätigkeiten im “Home-Office” beschrieben wurde.

“Grundsätzlich ist der Arbeitgeber auch für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit im Homeoffice verantwortlich. […] Das heißt aber nicht, dass er den Beschäftigten alle erforderlichen Arbeitsmittel zur Verfügung stellen muss. Beschäftigte können im Homeoffice auch eigene Arbeitsmittel verwenden. Es bietet sich an, gemeinsam zu vereinbaren, ob und unter welchen Bedingungen Arbeitsmittel durch die Beschäftigten zur Verfügung gestellt werden können. Der Arbeitgeber muss den Arbeitsplatz im Homeoffice in seine Gefährdungsbeurteilung einbeziehen und die notwendige Ausstattung festlegen. Er hat auch für die sichere Verwendung der Arbeitsmittel Sorge zu tragen.”
(Quelle: FAQ zur Corona-Arbeitschutzverordnung auf www.bmas.de; Hervorhebung durch die Redaktion)

Dass nun im vorliegenden Fall gar kein Arbeitsvertragsverhältnis besteht, ist keinesfalls eine ungewöhnliche Situation. Tagtäglich werden sogenannte “Dritte” in die Schutzkonzepte von Betrieben und auch Filmsets eingebunden – seien es Dienstleister, Solo-Selbstständige, oder auch Lieferanten.
Diese sind vom Unternehmer über die betrieblichen Schutzmaßnahmen und die mit einer Leistungserbringung zwingend verbundenen Verhaltens- und Vorgehensweisen zu informieren.

Arbeitsschutz als Unternehmerpflicht von der Projekt-Entwicklung bis zur Postproduktion

Hieraus ist direkt abzuleiten, dass diese Unternehmerpflichten auch für andere branchentypischen Tätigkeiten gelten.
Auch für jene, welche in üblichen Verträgen oftmals als Nebenleistungen oder als “vorbereitende Tätigkeiten wie z.B. Abstimmungs-Meetings, Erstellung von Moods, Plänen und Auflösungen” umschrieben sind. Und eben auch, falls diese außerhalb der Vertragszeit liegen (diese bezieht sich meistens auf die Erbringung der Hauptleistung) und als pauschal mitvergütet vereinbart werden.

Aus Sicht des Bundesverband Produktion Film und Fernsehen e.V. ist festzuhalten, dass die hier beschriebenen vorbereitenden Tätigkeiten in der Frühphase eines Projekts regelmäßig zeitlich und organisatorisch außerhalb des Wirkbereichs von projektbezogen engagierten Projektverantwortlichen angesiedelt sind – also in der Phase der sogenannten “Pre-Pre-production”, und dann direkt von den Hauptniederlassungen von Produktionsunternehmen veranlasst werden.

Dieser Umstand trifft in gleichem Maße auch auf die Nachbereitung der Drehergebnisse zu. Also auf den Bereich der Postproduktion, welcher seit langem weitgehend in einem Dienstleister-Umfeld angesiedelt und von den Produzenten lediglich administrativ und gegebenenfalls kreativ begleitet wird – bestenfalls unterstützt durch die Besetzung der Position einer Postproduktions-Koordination im Unternehmen.

Postproduktions-Koordinatoren zählen zu den am schlechtesten vernetzten und organisierten Filmschaffenden-Berufen.
Sie sind weitgehend abgeschnitten von den existenten Informations-Netzwerken und Verbänden, in denen in Eigeninitiative versucht wird, gemeinsam mit anderen Mitgliedern einen Wissenspool über gesetzliche Rahmenbedingungen und Erfordernisse und Standards in der Berufsausübung zu bilden und das professionelle Arbeitsfeld mitzugestalten und weiterzuentwickeln.
Der BvP verzeichnete seit seiner Öffnung für alle einschlägigen organisatorischen Berufe in der Filmproduktion keine einzige Anfrage aus ihren Reihen, oder Interesse an Austausch, Vernetzung oder Interessenvertretung gemeinsam mit verwandten Berufsgruppen.

Ein Teil des Problems: In vielen kleinen und mittelständischen Produktionsunternehmen sind Positionen in der Gesamtherstellungsleitung nicht dauerhaft besetzt. Womit die Organisation betrieblicher Prozesse, die über den bloßen Bereich der Hauptniederlassung hinausreichen, chronisch unzureichend aufgestellt ist. Und die Umsetzung solcher Prozesse findet ebenso chronisch und regelmäßig unterqualifiziert statt, wenn sie zum Beispiel an angestellte oder assoziierte Creative Producer oder an Team-Assistenzen oder das Sekretariat als Nebentätigkeit übertragen werden.

Sollten künstlerische Forderungen im Hinblick auf Dekoration und Darstellung sich nicht mit den geltenden Schutzmaßnahmen vereinbaren lassen, so haben Produzentin oder Produzent die Pflicht, Einwand gegen diese zu erheben.

Das Fazit: Probleme, wie hier bei der Umsetzung von Hygieneschutz-Standards bei E-Castings, sind letztlich oftmals eine direkte Folge der verbreiteten Branchenpraxis, arbeitsrechtliche Compliance-Fragen in Gänze an projektbezogen befristet beschäftigte Herstellungs- und Produktionsleiter zu delegieren.
Nur dass deren Tätigkeitsfeld nur noch selten substantiell über den Kernbereich der Projekt-Kalkulation und die Umsetzung der physischen Dreharbeiten  hinausreicht. Der einzige Prozess, welcher von dieser Berufsgruppe nicht nur planerisch sondern auch in der Umsetzung und im Controlling mehr oder weniger stringent begleitet wird, sind die Dreharbeiten selbst.
Der Aufbau und die Umsetzung einer Unternehmens-Compliance ist so nicht herzustellen – was unerwünschte Auswirkungen nicht nur beim Arbeitsschutz hat.

Die Kampagne von BVC und BFFS zeigt jedoch außerdem, dass nicht erwartet werden darf, dass die grundlegenden Prinzipien des Arbeitsschutzes allen Produzenten und Filmschaffenden bekannt sind oder wirklich verstanden worden wären.

Im Zentrum des Arbeitsschutzes stehen immer zuerst konkrete Tätigkeiten. Erst in zweiter Linie stehen Fragen von Berufen und konkreten Personen (Qualifikation) , Orten (Betriebsstätten) sowie zeitlichen und anderen äußeren Einflüssen.
Dies bedeutet, dass die Grundregeln der Arbeit am Set, wie sie die BG ETEM klar umreisst, selbstredend auf sämtliche gleichartigen Tätigkeiten zu übertragen sind, wenn die Risikobewertung dies gebietet.

Wer nicht in der Lage ist, die entsprechenden Schlussfolgerungen zu ziehen oder umzusetzen, ist für die Tätigkeit oder die Beauftragung derselben nicht ausreichend qualifiziert. Und Unternehmen, welche die vorgeschriebene Fachberatung, sowie notwendige Unterweisungen und Qualifizierungen nicht dokumentieren können, verspielen damit den Nachweis für die Wahrnehmung ihrer Fürsorgepflicht und Personalverantwortung.

Unangenehme Wahrheiten:
Mangelnde Unterweisungen als Sicherheitsrisiko – Bildungsferne als Ausdruck des Branchen-Prekariats

Die feststellbaren Mängel in der Qualifizierung beschränken sich keineswegs auf die hier behandelten Aspekte des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, oder die  genannten Mitarbeiter in den Hauptniederlassungen, wo man einen gewissen Willen zur Förderung von Qualifikation und Weiterbildung seitens der Arbeitgeber immerhin vermuten darf.
Der Mangel wird jedoch noch wesentlich klarer von freien Mitarbeitern aller oben genannter Berufsgruppen wahrgenommen und zum Ausdruck gebracht:
Fundierte Unterweisungen und begleitende fachliche Qualifikationsmöglichkeiten in der Branche scheitern nicht zuletzt am verbreitet feststellbaren Desinteresse der Unternehmen an den Bedingungen “in ihrer Werkshalle”.

Die vereinzelten und meist nur prototypischen Bemühungen von Berufs- und Produzentenverbänden und anderer Branchenteilnehmer um Qualifizierungsprogramme für Filmschaffende verschiedener Gewerke bedürfen auch vor diesem Hintergrund einer substanziellen Intensivierung und vor allem auch gemeinsamer nachhaltiger Anstrengungen.

Denn wir reden hier nur aus aktuellem Anlass und vordergründig von schwarzen Schafen unter Produktionsfirmen (und Filmschaffenden), die vermeintlich noch immer nichts von Schutzstufen-Konzepten für Arbeiten vor der Kamera gehört haben.
Tatsächlich muss die Rede davon sein, dass sich der Branchenstandard beim Thema Qualifizierung für den größten Teil der Arbeitnehmer und Mitwirkenden in der Filmproduktion genau so darstellt, wie das oben konkret behandelte Negativbeispiel des Gesundheitsschutzes: Qualifizierung wird in den Bereich des Privatlebens der Betroffenen abgeschoben, und ist nur noch Gegenstand des persönlichen Ermessens der schwächsten Glieder unserer Branche.

Damit entspricht der Qualifizierungs- und Wissens-Standard der Branche nicht den Erfordernissen und Herausforderungen:
Nicht den markt-eigenen Erfordernissen zum Beispiel nach qualifiziertem und motivierten Nachwuchs-Personal oder der Herausforderung einer nachhaltigen Teilhabe an Innovationen in der Medienbranche. Und offenbar auch nicht den Erfordernissen der einschlägigen arbeitsrechtlichen Gesetzgebung.

Der reflexhafte Verweis auf die strukturellen und finanziellen Probleme unserer vielschichtigen Branche, in welcher Qualifikation offen als Wettbewerbsnachteil bezeichnet wird, greift zu kurz. Es ist nur so, dass für die Gewinnung von Finanzierungsmitteln für die Entwicklung von Konzepten und Programmen zur Branchen-Qualifikation eben andere Qualitätsstandards erreicht werden müssen, als sie den brancheneigenen Gewächsen “Marke Eigenbau” bisher meist zu eigen sind.
Wer kann diesen Knoten lösen?

Die Stellungnahme von BVC und BFFS zur qualifizierten Durchführung von E-Castings findet man hier:
https://www.bffs.de/2021/02/24/e-casting-in-zeiten-der-pandemie/

Die jeweils aktuellste Fassung des “BG ETEM SARS-CoV-2 Arbeitsschutzstandards für Filmproduktionen” findet man hier:
https://medien.bgetem.de/medienportal/artikel/UzMwMA–