Transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen

Ein Gesetz zur Umsetzung einer EU-Richtlinie ist am 01. August 2022 in Kraft getreten

Die Richtlinie (EU) 2019/1152 des Europäischen Parlements und des Rates über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen, welches am 11. Juli 2019 eine Richtlinie vom Jahr 1991 ersetzte (“Nachweisrichtlinie”), wurde nun im Juni 2022 – kurz vor dem Ablaufen einer Umsetzungsfrist – in ein deutsches Gesetz gegossen. Die Richtlinie verfolgt das Ziel, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, indem die Pflichten der Nachweisrichtlinie erweitert werden. Es enthält nun Mindestanforderungen in Bezug auf Nachweise zu Höchstdauer von Probezeit, Mehrfachbeschäftigung, Mindestvorhersehbarkeit der Arbeit, Ersuchen um einen Übergang zu einer anderen Arbeitsform (z.B. Teilzeit) sowie Pflichtfortbildungen, desweiteren sogenannte horizontale Bestimmungen zur Durchsetzung der Bestimmungen (gemeint sind parallele Änderung in mehreren vorliegenden Gesetzen, in denen das Thema eine eigene Relevanz hat).

Das Gesetz setzt die Richtlinie also durch Änderungen im Nachweisgesetz selbst um, und daneben im Berufsbildungsgesetz, der Handwerksordnung, im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz und im Seearbeitsgesetz (SeeArbG), sowie in weiteren Gesetzen für den Bereich medizintechnischer und pharmazeutisch-technischer Berufe. Eine Kompensation des Erfüllungsaufwands des Gesetzes (“One in, one out”-Regel) muss vom Gesetzgeber nicht erbracht werden, da es sich um eine 1:1-Umsetzung einer EU-rechtlichen Vorgabe handelt.
Die parlamentarische Opposition im Deutschen Bundestag kritisierte, dass das vorgelegte Gesetz die in der EU-Richtlinie ausdrücklich eröffneten Spielräume zur Entlastung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) nicht nutzt, also die Vorgaben der Richtlinie übererfüllt, und forderte unter anderem eine Streichung einer ganzen Reihe der vorgesehenen Nachweispflichten, bzw. den Sozialpartnern die Möglichkeit zu geben, in Tarifverträgen die Abweichung von den Regelungen der Richtlinie zu ermöglichen, sofern dies “den Schutz der ArbeitnehmerInnen insgesamt wahrt”. Das Gesetz wurde dennoch mit der Mehrheit der Regierungsfraktionen unverändert beschlossen.

Schon bisher regelte das Nachweisgesetz, dass der Arbeitgeber die wichtigsten Vertragsbedingungen schriftlich niederzulegen hatte und dem Arbeitnehmer aushändigen musste. Dafür galt bislang eine Monatsfrist nach Beginn des Arbeitsverhältnisses. Dies betraf folgende Punkte:

  • Name und Anschrift der Vertragsparteien
  • Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses
  • Dauer des Arbeitsverhältnisses bei Befristung
  • Arbeitsort
  • Bezeichnung oder Beschreibung der Tätigkeit
  • Zusammensetzung und Höhe des Arbeitsentgelts
  • Arbeitszeit
  • Dauer des jährlichen Erholungsurlaubs
  • Kündigungsfristen
Ab 1. August 2022 müssen zusätzlich noch folgende Punkte schriftlich dokumentiert werden:
  • Enddatum des Arbeitsverhältnisses
  • Ggf. freie Wahl des Arbeitsorts durch den Arbeitnehmer
  • Sofern vereinbart, die Dauer der Probezeit
  • Die Zusammensetzung und die Höhe des Arbeitsentgelts einschließlich der Vergütung von Überstunden, der Zuschläge, der Zulagen, Prämien und Sonderzahlungen sowie anderer Bestandteile des Arbeitsentgelts, die jeweils getrennt anzugeben sind und deren Fälligkeit sowie die Art der Auszahlung
  • Die vereinbarte Arbeitszeit, vereinbarte Ruhepausen und Ruhezeiten sowie bei vereinbarter Schichtarbeit das Schichtsystem, der Schichtrhythmus und die Voraussetzungen für Schichtänderungen
  • Sofern vereinbart, die Möglichkeit der Anordnung von Überstunden und deren Voraussetzungen
  • Ein etwaiger Anspruch auf vom Arbeitgeber bereitgestellte Fortbildung
  • Ein in allgemeiner Form gehaltener Hinweis auf die auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifverträge sowie Betriebs- oder Dienstvereinbarungen
  • Wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine betriebliche Altersversorgung über einen Versorgungsträger zusagt, der Name und die Anschrift dieses Versorgungsträgers; die Nachweispflicht entfällt, wenn der Versorgungsträger zu dieser Information verpflichtet ist.
  • Das bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzuhaltende Verfahren, mindestens das Schriftformerfordernis und die Fristen für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses, sowie die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage; § 7 des Kündigungsschutzgesetzes ist auch bei einem nicht ordnungsgemäßen Nachweis der Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage anzuwenden.

Die neuen Pflichten gelten bei Neueinstellungen ab dem 1. August 2022. Im Gegensatz zur früheren Regelung muss aber bereits am ersten Arbeitstag dem Arbeitnehmer die Niederschrift mit den Informationen über den Namen und die Anschrift der Vertragsparteien, das Arbeitsentgelt und seine Zusammensetzung sowie über die Arbeitszeit vorliegen. Die meisten der weiteren Nachweise müssen spätestens in sieben Kalendertagen nachgereicht werden, und die übrigen spätestens einen Monat nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses.

Anmerkung: Davon unberührt blieb und bleibt die im Befristungsgesetz geregelte Verpflichtung zum rechtsgültigen Vertragsschluss vor Beginn befristeter Arbeitsverhältnisse. Das Schriftformerfordernis bei der Unterzeichnung eines befristeten Vertrags durch beide Vertragspartner vor Beginn des Arbeitsverhältnisses wurde von der Rechtsprechung erst jüngst wieder bestätigt (LAG Berlin-Brandenburg Az. 23 SA 1133/21). Auch eine nachträgliche Klage von ArbeitnehmerInnen gegen eine Verletzung dieser Verpflichtung stellt aus Sicht des Gerichts keine Treuwidrigkeit dar – die vertragliche Befristung wird durch verspäteten Vertragsschluss unwirksam!

Beschäftigte, die vor dem 1. August 2022 eingestellt wurden, müssen nur schriftlich über ihre wesentlichen Arbeitsbedingungen unterrichtet werden, wenn sie den Arbeitgeber dazu auffordern. Dann gilt eine Frist von sieben Tagen. Informationen über den Urlaub, die betriebliche Altersversorgung, die Pflichtfortbildung, das Kündigungsverfahren und geltende Kollektivvereinbarungen müssen spätestens innerhalb eines Monats bereitgestellt werden.

Ändern sich die wesentlichen Arbeitsbedingungen in bestehenden Arbeitsverhältnissen, dann muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer spätestens am Tag der Änderung unterrichtet haben. Gesetzesänderungen oder Änderungen in Tarifverträgen oder Betriebs- oder Dienstvereinbarungen müssen weiterhin nicht schriftlich angezeigt werden.
Neu ist auch, dass bei Verstößen ein Bußgeld von bis zu 2.000 Euro droht.
Personalverantwortliche ProduktionsleiterInnen haben nunmehr darauf zu achten, dass die vom Unternehmen bereitgestellten Arbeitsverträge für Team, Schauspieler und Komparsen den neuen gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Denn damit kann nach der Erfahrung unserer Mitglieder nicht selbstredend gerechnet werde, da die juristische Beratung von Produktionsunternehmen regelmäßig durch Anwaltskanzleien mit medienrechtlicher Expertise erfolgt, und nicht durch Arbeits- oder Vertragsrechtsspezialisten. Nicht zu reden von Produktionsfirmen, deren Arbeitsverträge “in Eigenarbeit” immer noch auf Fragmenten der vor Jahren als mustergültig geltenden Vertragsvorlagen eines der größten Produktionsunternehmen in Deutschland basieren.
Wir müssen ebenfalls darauf hinweisen, dass die weitverbreitete Praxis, Arbeitsverträge für die ersten (befristeten) MitarbeiterInnen eines Filmvorhabens regelmäßig erst “irgendwann” im Laufe der Drehvorbereitungen auszufertigen, oder Verträge erst bei Arbeitsbeginn den ArbeitnehmerInnen zur Erstunterschrift auszuhändigen, rechtswidrig ist, sofern nicht sämtliche oben genannten Bedingungen umfassend in einem Vorvertrag (“Deal Memo”) schriftlich beidseitig vereinbart wurden.
Die im Filmgeschäft weithin üblichen “Deal Memos” im Duktus eines “offer for employment” oder eines “letter of intent” unterscheiden sich im Gehalt in der Regel erheblich von den verbindlichen Eckpunkten eines Vertrags oder auch eines umfassenden Vorvertrags. Sie sind im Grundsatz nicht rechtlich verbindlich für das tatsächliche Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses (siehe auch ArbG Berlin 78 Ca 187/06 vom 24. Mai 2006), geschweige denn für eine rechtsgültige Befristung eines solchen.
Abstrakt: Das Problem von “Branchen-Gepflogenheiten” und der sogenannten “Geschäftsführung ohne Auftrag”
Solcherart “Gepflogenheiten” der Filmbranche basieren auf dem Vertrauen, dass in der überschaubaren Filmbranche, in welcher persönliche, informelle Netzwerke eine wichtige Rolle spielen, niemand gegen derlei problematische Rechtsauslegungen oder wegen unklarer Deal Memos klagen wird. Dies wäre jedoch im Falle von lediglich bußgeldbewährten zivilrechtlichen Tatbeständen zur Rechtswahrung zwingend erforderlich.
Dieses Vertrauen ist rechtlich nicht schützenswert (siehe oben erwähnte Rechtssprechung).
ProduktionsleiterInnen, welche ohne konkrete Dienstanweisung in eigenem Ermessen in diesem Vertrauen agieren, handeln fahrlässig oder im Einzelfall möglicherweise sogar grob fahrlässig. Liegt eine demgemäße Anweisung hingegen vor, dann empfehlen wir ProduktionsleiterInnen, zur rechtlichen Eigensicherung einen entsprechenden sachlichen Einwand / Hinweis auf die “vermutete Rechtslage” zu erheben, mit der Empfehlung einer juristischen Klärung, sowie hierüber ein (Gedächtnis-)Protokoll anzulegen.
Der Abschluss von Verträgen, Arbeitsverträgen oder vertragsähnlichen Vereinbarungen zählt regelmäßig zu den Aufgaben von Herstellungs- und ProduktionsleiterInnen in der Filmproduktion, ohne dass diese dabei formell als Geschäftsführer des Unternehmens bestellt sein müssten, oder Prokura haben müssten. Es liegt dann eine sogenannte Geschäftsführung ohne Auftrag vor. Geschäftsbesorgern in diesem Sinne obliegt gemäß §677 BGB die Pflicht, das Geschäft dem Interesse und Willen des Geschäftsherrn entsprechend zu führen. Ein Geschäftsführer ohne Auftrag haftet gegenüber dem Geschäftsherrn bei sogenanntem Ausführungsverschulden (§§677, 280 BGB) auf Schadenersatz, sowie aufgrund des Schuldverhältnisses auch für Verletzung einer Sorgfaltspflicht (§§280 I, 241 II, 249ff. BGB). Der Wille des Geschäftsherrn sollte demnach aktiv und nachvollziehbar festgestellt werden. Und nach Außen ist jederzeit transparent darzustellen, dass die jeweilige Geschäftsbesorgung im Namen und Interesse des Geschäftsherrn erfolgt.
Das neue Nachweisgesetz zum Download:
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Der beschlossene Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2019/1152 (zum Nachblättern aller Neuerungen im Detail zum Download: