Der Fair Film Award 2024 – Ein kritischer Zwischenruf

Die angebliche Rückübertragung des Fairness-Preises von Crew United an die Filmschaffenden-Verbände als Sinnbild einer sozialpolitischen Sackgasse der Branchenbeschäftigten

Ende Dezember 2023 endete der Aufruf von Crew United zur „Fair Film Umfrage 2023“, in welcher Filmschaffende faire Filmproduktionen bewerten sollten, namentlich in jenen Projekten, an deren Umsetzung sie selbst (gemäß den Einträgen in der Crew United Filmdatenbank) beteiligt waren. Wie in den Jahren zuvor bildete die Befragung die Grundlage, auf welcher die Gewinner des Fair Film Award 2024 ermittelt werden. Als am 10. Januar eine Art „shortlist“ der erst- und letztplatzierten Produktionen der Umfrage bekannt gegeben wurde, gab Crew United bekannt, dass sich 2500 Filmschaffende vor und hinter der Kamera an der Umfrage beteiligt hatten. Inzwischen wurde auch bekannt gegeben, dass die Preisverleihung am 19. Februar erfolgen soll.

Der Preis war im Jahr 2011 als „Hoffnungsschimmer“ vom Dachverband der Filmschaffenden-Berufsverbände („Die Filmschaffenden e.V.“) erstmals verliehen worden. Nach dem Zusammenbruch des Finanzierungskonzepts von dessen jährlichem Filmschaffenden-Empfang, in dessen Rahmen die Preisverleihungen stattfanden, wurde der Preis (inzwischen in „Fair Film Award“ umbenannt) von Crew United übernommen, deren Plattform bereits zuvor für die Bewertungsumfrage zur Verfügung gestellt worden war.

Die Kriterien zur Bewertung fairer Filmarbeit wurden nach und nach spezifischer sowie in mehrere Bewertungskategorien gegliedert, deren Bedeutung in Beipacktexten zur Umfrage erläutert wurden.

Vor der Übergabe der Trägerschaft des Preises von den Berufsverbänden an Crew United standen sieben Kriterien zur Wertung: „Arbeitszeiten und Arbeitsschutz“, „Vertrag, Gagen & Entgelte“, „Kommunikation & Arbeitsklima“, „Professionalität & Qualifizierung“, „Chancengleichheit & Gleichbehandlung“, „Umweltschutz“, sowie „Nachhaltigkeit und Perspektiven“.

Bis zur diesjährigen Umfrage wurde dieser Kriterien-Katalog und seine Inhalte mehrfach erweitert, umgegliedert sowie um die Punkte „Umgang mit Drehorten und Motivgeber*innen“ und „Diversität“ ergänzt. Der Beipackzettel wuchs von ursprünglich zwei auf zwischenzeitig elf Seiten erläuternden Text an. Kein einfaches Package, aber nicht ohne Grund: Stets wurde betont, dass die Basis für die Wertungskriterien nicht etwa nur für Arbeit- oder Auftraggeber gelten müssten, sondern für alle. Die Idee des Preises folgt daher mit seinen umfangreichen Erläuterungen bis heute ein Stück weit den drei bildungspädagogischen Prinzipien „Erkennen“, „Bewerten“, „Handeln“.

„Raider“ heißt jetzt „Twix“

Mit dem Aufruf zur diesjährigen Fair Film Umfrage verkündete Crew United den Übergang der Trägerschaft des Preises an die Initiative Fair Film, „einem Zusammenschluss von über 30 Verbänden, Initiativen und Institutionen“ – und Crew United. Mit diesem Schritt wuchs die Anzahl der Teilnehmenden an der Umfrage immerhin auf 2500 an. Davor war die Anzahl der Teilnehmenden kontinuierlich gesunken, zuletzt auf 1500, wie zu erfahren war. Was zunächst wie ein Erfolg klingt, stellt sich jedoch anders dar, wenn man die Hintergründe jener Initiative betrachtet, und dieses Ergebnis in Bezug zu den Erwartungen setzt, die aus der von der Initiative selbst behaupteten Reichweite und Verankerung in der Film Community abgeleitet werden könnten.

Was war passiert? Ende 2022 hatte Oliver Zenglein, Co-Geschäftsführer der Lutz+Zenglein GbR als Betreiber von Crew United, diverse Organisationen zu einem Meeting eingeladen, um jenen Schritt zu gehen, den er schon länger als „Rückgabe des Preises an die Verbände“ in Aussicht gestellt hatte. In diesem Meeting wurden Erwartungen an die künftige Ausrichtung des Preises ausgetauscht und ein Folge-Meeting zur weiteren Bearbeitung des Themas vereinbart.

Den Namen „Initiative Fair Film“ bekamen jene Filmschaffenden, welche von ihren Organisationen und Gruppen zu dem vereinbarten Folge-Meeting im April 2023 entsandt worden waren. Darunter diverse Berufsverbände und Zweckvereine, aber auch die „Betriebsgruppe Freie“ einer Spartengewerkschaft, sowie Initiatoren und/oder Teilnehmer mehrerer Social Media Gruppen. Mit diesem zweiten Treffen änderte sich der Fokus der Gruppe. Recht unvermittelt stand nun die Formulierung von Forderungen an die Politik im Mittelpunkt, um „faire Bedingungen“ in Filmproduktionen erreichen zu können – verbunden mit der Frage, wie diese Forderungen durchgesetzt werden könnten.

Lautsprecherpolitik versus politischer Dialog

Das offenkundige Ergebnis dieser Überlegungen waren zwei offene Briefe, welche im Fortlauf des Jahres 2023 im Namen der Initiative an Kulturstaatsministerin Claudia Roth versandt wurden. Also eine öffentliche politische Kampagne mit dem proklamierten Ziel der Einflussnahme auf ein anlaufendes Gesetzgebungs-verfahren.

Diese offenen Briefe der Kampagne ließen den Schluss zu, dass die Initiative Fair Film, die in ihren Eigenschaften im Wesentlichen als soziale Sammelbewegung bezeichnet werden kann, fachlich und rechtlich schlecht beraten war. Ihre Themen wurden sozialpolitisch – jenseits des diagnostischen Framings bestehender Probleme – nicht durchdrungen und formell gesehen schlicht falsch adressiert.

Ein Gesetz zur Festlegung des Rahmens für die bundesdeutsche Förderung der Filmwirtschaft bietet kaum Möglichkeiten zur Änderung sozialer Rahmenbedingungen für Beschäftigte des betreffenden Wirtschaftszweigs. Umfassende Änderungen ließen sich im Wesentlichen nur durch Bezugnahmen auf die maßgebliche Sozialgesetzgebung erreichen. Und in diesem Punkt blieben die Forderungs-kataloge der Initiative jegliche Versuche eines prognostischen Framings schuldig.
Die Initiative weckte mit Ihren Schreiben Erwartungen an ein Spartengesetz, welche nur enttäuscht werden können. Es ist nicht gelungen, soziale Problemstellungen der beruflichen Alltagsrealität von Filmschaffenden in den übergeordneten sozialen Kontext zu stellen oder wo nötig entsprechend zu übersetzen, sowie konkrete Vorstellungen von Lösungen zu gewinnen und zu formulieren.

Das diagnostische Framing der Initiative – sofern man mangels anderer Publikationen die beiden offenen Briefe als Positionspapier heranziehen möchte – ist nahezu identisch mit Linien, welche entweder von Gewerkschaften und Verbänden im Laufe der letzten Jahre herausgearbeitet worden waren, oder welche von jüngeren Zweckvereinen (beispielhaft sei hier der Verein Pro Quote e.V. genannt) diesen Linien hinzugefügt worden waren, und die zuletzt im Wesentlichen im Sinne eines weit gefassten Inklusionsbegriffs gelesen werden konnten.

Politische Kampagne oder Publicity?

Die schlechte Nachricht ist, dass die Initiative vor dem Hintergrund dieser Kampagne, die unter Missachtung jeglicher Grundregeln politischer Kampagnenarbeit (Public Affairs Management) durchgeführt wurde, als gescheitert bezeichnet werden müsste.

Warum behauptet sie also in ihrem erst kürzlich veröffentlichten Webauftritt, eine Lücke zu füllen?
Ging es nur um Publicity für die umfänglich behandelte Inklusion? Ging es darum, Probleme zuzuspitzen, Erwartungen hinsichtlich deren Lösung zu wecken, oder vorhandenen Unmut und Frustration zu steigern und zu kanalisieren?
Viele weitere Fragen hinsichtlich der Intention der anonymen Urheber der Schreiben, zum Timing und zur Wahl der Mittel bleiben bestehen. Und nicht zuletzt steht die Frage im Raum, ob man sich des Schadens für die künftige branchenpolitische Interessenvertretung der an der Initiative beteiligten Organisationen – aber nicht nur jener – überhaupt bewusst ist.

Warum verweigert sich die Initiative, welche zu großen Teilen aus legalisierten Interessensgruppen besteht, einer Rechtsform oder zumindest einer transparenten demokratischen Satzung bzw. Geschäftsordnung auf Grundlage des BGB, um sich eines Anspruchs auf politisches Gehör zu versichern, wie es das Mandat repräsentativer Interessengruppen für ihre jeweiligen Mitglieder mit sich bringt?

Warum erweckt die Initiative verschiedentlich den Eindruck einer Mogelpackung? Sei es bei der Mitzeichnung der Schreiben durch nicht für ihre Organisation zeichnungsbefugte Gremien, oder bei der Behauptung, sie vertrete 8.000 Film- und Medienschaffende (eine Woche später und nach Beitritt zweier kleiner Spezialisten-Verbände waren es dann plötzlich 9.000)? Diese Zahlen sind – so ist zu vermuten – nur dadurch zu erklären, dass manche Mitglieder der Initiative selbst Zusammenschlüsse weiterer Mitglieder der Initiative sind. Und dass Akteuren oder Betreibern von beteiligten Social Media Gruppen ein Vertretungsmandat für ihre Abonnenten zugeschrieben wird. Die uns vorliegenden groben Selbsteinstufungen und Angaben der Berufsverbände jedenfalls legen nahe, dass Social Media Abonnenten mit unklarer Provenienz einfach mitgezählt werden. Und dahinter steht die Frage: Beinhaltet die Initiative demokratisch basierte Meinungsbildungs- und Evaluierungsmechanismen der vorgeblich vertretenen Filmschaffenden?

Basisdemokratie oder Populismus?

Der aktuelle Status der Initiative könnte vorläufig so beschrieben werden: Die mitzeichnenden Verbände geben Ihren Namen, um die Anonymität eines dezentralen Kollektivs von Autoren zweier offenen Briefe zu schützen. Anonymer Schreiben, die sich unter der Tarnkappe des Kollektivs von Mitzeichnern verstecken. Die Münchner Filmkritikerin Dunya Bialas schrieb in einem Beitrag über eine ähnliche Fall-Konstellation, „Es macht keinen Unterschied, ob zwei- oder viertausend Namen unter dem Statement stehen. Sie sind alle nicht adressierbar, weil sie keine Urheber, sondern Unterzeichner sind. Das ist ein Unterschied.“ (zitiert aus: „Anonym und manipuliert?“ veröffentlicht am 30.11.2023 auf Artechock.de)

Macht es einen Unterschied, dass in diesem Falle die Mitzeichner der Schreiben in der Folge als „Mitglieder“ bezeichnet wurden? Ändert dies die Fallkonstellation tatsächlich? Denn Autorenschaft und die rechtliche Verantwortung für die Veröffentlichung des Texts bleibt nach wie vor offen. Immerhin der Betreiber einer Website „Initiative Fair Film“ wird per Impressum genannt: Es ist die Lutz & Zenglein GbR. Und das Begleitschreiben zum zweiten offenen Brief enthält eine Kontakt-Telefonnummer: Es handelt sich um die Nummer eines der Geschäftsführer der Lutz & Zenglein GbR.

22 Berufsverbände und weitere Vereine küren den Geschäftsführer eines laut BGB primär gewinnorientierten Dienstleistungsunternehmens zum Ansprechpartner für sozialpolitische Themen von steuerbegünstigten Interessenvertretungen der Filmschaffenden – und damit zu ihrem Vertreter gegenüber der Politik dieses Landes. Der dabei unnötigerweise stets die Marke seines Unternehmens mit ins Feld führt, und wie in der Vergangenheit dabei im Unklaren lässt, dass diese Marke Crew United keinesfalls ein Verein oder eine Interessenvertretung gemäß BGB ist. Crew United vertritt keinen seiner Kunden und keiner der Kunden hat Einfluss auf die persönliche politische Agenda seiner Geschäftsführer. Diese wäre reine Privatsache, würde sie nicht von ihnen selbst regelmäßig mit dem Marken-Slogan ihrer Firma und ihres Produkts verknüpft, welche letztlich anderen Zwecken dient, als die Werbung suggeriert, nämlich jenen in den AGB der Lutz & Zenglein GbR beschriebenen.

Wenn die bisher nicht erfüllte Werbebotschaft („Crew United“) Vater des Gedankens ist, und das proklamierte Vorhaben des Mit-Erfinders dieser Marke, nämlich die Rückgabe des Fair Film Awards an die beruflichen Vertretungen und Interessengruppen der Filmschaffenden, dazu führt, dass nicht nur der Preis, sondern nunmehr auch die sozialpolitische Tagesagenda dieser Filmschaffenden vom Wohlwollen der Geschäftsführung eines privatwirtschaftlichen Unternehmens abhängen, wenn die Zahl  von 9.000 vertretenen Film- und Medienschaffenden wider aller verifizierbaren Informationen trotzdem stimmen sollte, und wenn die sogenannte Übergabe des Fair Film Award „zurück an die Filmschaffenden“ dennoch nur 1.000 zusätzliche Votings in der Umfrage für die Preisverleihung 2024 ergeben hat, dann besteht zumindest Grund zu der Annahme, dass das Motivations-Framing dieser Initiative – also die Steigerung von Engagement und Mobilisierungsbereitschaft der Betroffenen – zuvorderst den Marketing-Zwecken dieser Firma dient.

Dem Bundesverband Produktion Film und Fernsehen wurde seitens Crew United sowie von anonymen Absendern aus der Initiative Fair Film zwar regelmäßig angeboten, Teil der Bewegung zu werden, jedoch ebenso unmissverständlich seitens der Geschäftsführung von Crew United zu verstehen gegeben, dass künftig nicht günstig darüber gesprochen würde, wenn man dies nicht tut.

Wir möchten also lieber nicht zu laut feststellen, dass wir es nicht tun. Wir nehmen übrigens auch neue Mitglieder auf. Sehr gerne sogar. Und wir lassen uns auf demokratischem Wege auch gerne vom Gegenteil überzeugen – der Weg dahin ist in unserer Satzung nachzulesen.

Gibt es tatsächlich Grund zu der Annahme, dass man mit einer – neutral ausgedrückt – basisdemokratisch anmutenden Sammelbewegung ohne transparentes, formalrechtliches Vertretungsmandat nennenswerten Einfluss auf ein Gesetzgebungsverfahren einer repräsentativ organisierten Demokratie nehmen kann? Nein.

Der politische Lautsprecher-Aktivismus der Initiative von Oliver Zenglein kann nur als Arbeitsauftrag an die Filmschaffenden und ihre Verbände und Organisationen selbst gelesen werden. Als Auftrag, die Phase diverser wahlloser, unkritischer und pseudo-solidarischer Ad-hoc-Kooperationen in der zeitlichen Folge der Implosion ihres Dachverbands „Die Filmschaffenden“ zu überwinden. Und zu einer an den Maßstäben der in diesem Land (noch) handlungsfähigen repräsentativen Demokratie ausgerichteten Interessenvertretung der sozialen Belange ihrer Mitglieder zu finden, sowie deren gemeinsame Grundlagen den Filmschaffenden zu vermitteln. Für diese demokratische Arbeit stehen die jeweiligen Verbände oder Vereine, oder im Hinblick auf die Themen Arbeit & Soziales eher noch die Gewerkschaften – deren Rolle hierbei gesetztlich geschützt ist.

Das muss man nicht mögen, ist aber so. Und dies wird sich angesichts von zunehmendem Dekonstruktivismus und Polarisierung (aus unterschiedlichen politischen Spektren) so schnell auch nicht ändern. Denn dafür gehen gerade Millionen auf die Straße – für die Sicherung unseres sozialen und demokratischen Grundkonsens.

Politische Repräsentanz der Generation Z

„Die Politik“ ist nicht das Hauptproblem unserer selbsterklärten sozialen Sammelbewegung der Filmszene. Das Problem ist die Film-Community selbst, in ihren durch unzählige Individualinteressen fragmentierten Tellerränder. Dutzende Meinungs-Blasen, denen im Zuge der rasanten Entwicklung unserer alles könnenden und wollenden Branche zwischen radikalem NoBudget-Arthouse, regionalem Kunstfilm, Dokutainment und global positionierten Industrieauftragsproduktionen eine fortlaufende Neuverhandlung des Konsens zu sozialen Standards in der Kulturarbeit audiovisueller Prägung abhandengekommen zu sein scheint, und nebenbei auch das Bewusstsein für das Prekariat in der Kulturwirtschaft, welches durch überdurchschnittliche Einkommensmöglichkeiten in der personalintensiven Filmproduktion auch für Ungelernte einst ausbalanciert erschien.
Durch ein Outsourcing der Vertretung der sozialen Interessen ihrer Mitglieder weichen die Mitgliedsverbände der Initiative Fair Film einer nötigen Neuverhandlung von Mindestbedingungen mit der nachströmenden Generation Z innerhalb unserer repräsentativen Demokratie aus, in einen offenbar selbstgewählten undefinierten Raum. Vermeintlich im Bemühen um eine Generation, die alles sofort radikal anders will. Dieses Privileg teilt sie sich übrigens mit allen Generationen vor ihnen.

Insbesondere die Berufsverbände unter ihnen wirken dabei, als würden sie sich dieses Themas entledigen wollen, ohne zu wissen, ob sie es jemals wieder für sich zurückreklamieren können.
Ob wohl die in den Verbänden verbleibende soziale Kompetenz genügt? Oder dienen diese künftig nur noch als Schaufenster versammelter beruflicher Exzellenz, welche einen zuweilen an Dutzende vermeintliche „Pilotengewerkschaften“ erinnert.

Was können die Verbände einer jungen Generation Z dann noch bieten, deren beruflicher Erfahrungshintergrund keinen Umgang mit sozialen Mindeststandards in Krisenzyklen kennt, kein Bewusstsein für den Wert eines zu schützenden kleinsten gemeinsamen sozialen Nenners unter Filmschaffenden zu haben scheint – und die vielleicht einfach damit droht, zu gehen, wenn die Komfortzone der individuellen Lebensplanung in Frage gestellt wird?

Es erschließt sich nicht, warum die Filmschaffenden-Verbände auf die aktive Wahrnehmung ihres Vertretungsmandats quasi verzichten, indem sie politisch adressierbare soziale Fragestellungen einem in der öffentlichen Reichweite überlegenen Medienpartner und Dienstleisters der Branche und dem von ihm abhängigen „Netzwerk“ überlassen, welchem sie aber gleichzeitig die fallweise vorhandene branchenpolitische Erfahrung offensichtlich vorenthalten.
Ein informelles Netzwerk, eine Initiative ohne Rechtsform, ohne Geschäftsordnung oder Satzung, ohne Autorenschaft und nicht zuletzt ohne repräsentative Ansprechpartner für einen formalen politischen Dialog. Welcher die unabdingbare Grundlage für gesellschaftliche und politische Teilhabe wäre, wie auch für die von den Filmschaffenden erwartete höhere Wertschätzung ihrer professionellen Expertise auf dem Branchenparkett.

Vor wessen Karren lassen sich die Filmschaffenden, ihre Verbände und deren gewählte Repräsentant:innen da eigentlich spannen?

Best Practice versus Next Practice

Können wir uns wirklich freuen, dass es nun zu einem „brand new“ Fair Film Award kommt, auf Basis einer neuen Umfrage mit vielfach revidierten Kriterien, und zu einer weiteren Preisverleihung für Best Practices der Branche? Oder darüber, dass die Anzahl der Umfrageteilnehmer aufgrund des PR-Coup von Crew United von zuletzt 1500 nun auf 2500 gestiegen ist?

Ist die Hoffnung berechtigt, dass diese Zahl zumindest einen Effekt auf die Anzahl von Produktionen hat, welche es zuletzt überhaupt noch in die finale Auswertungsliste schafften? Denn für einen Eintrag in der Liste war zuletzt aus guten Gründen eine Mindestzahl von 15 Bewertungen pro Projekt notwendig – um die Wahrscheinlichkeit einer halbwegs aussagefähigen Bewertung eines Projekts zu gewährleisten. Wenn durch die abnehmende Zahl von Teilnehmenden der Fair Film Award seine Aussagekraft als Gesamt-Lagebild der fiktionalen Filmproduktion in den letzten Jahren bereits eingebüßt hat.

Zur Berlinale plant die Initiative nun ihren nächsten Aufschlag, wie man hört. Es ist zu hoffen, dass es sich nach den beiden offenen Briefen nicht um den dritten Anlauf zu einer branchenpolitischen Selbstverstümmelung der Filmschaffenden-Community handelt, sondern lediglich um die angekündigte Preisverleihung des Fair Film Award.
Impulse für die Stärkung eines gemeinsamen Verständnisses von sozialen Mindeststandards in der Kreativarbeit sind dabei nur bedingt zu erwarten. Und eine modellhafte „Next Practice“ einer demokratischen Repräsentanz für Filmschaffende erfordert definitiv weitreichendere Bemühungen.

And the winner is …