Studie zur Beschäftigungslage in der audiovisuellen Film- und TV-Produktion

Das Media Collective beim Erich Pommer Institut veröffentlicht Einschätzungen und Erkenntnisse auf Grundlage einer Befragung vom Herbst 2023

Die deutsche Film- und Fernsehbranche hat turbulente Jahre hinter sich. Der Produktionsmarkt war äußerst aktiv, offenbarte jedoch zunehmend einen teils gravierenden Fachkräftemangel. Der Fach- und Arbeitskräftemangel war zum einen der schieren Produktionsmenge geschuldet, offenbarte jedoch auch strukturelle Schwierigkeiten in der Aus- und Fortbildung von Filmschaffenden in Deutschland.

Nach Jahren des Wachstums und dem Eintritt immer neuer Player in den Markt zeichnete sich 2023 ein Trend der „Normalisierung“ ab. Eine mögliche Rezession und deren Auswirkungen auf nicht-fiktionale Programme und Content, Autoren- und Schauspielerstreiks in den USA, die Sender-Defizite durch hohe Corona-Zusatzkosten und Neujustierungen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk unter zunehmendem politischem Druck auf deren Finanzierungsgrundlage, sowie ein für alle spürbarer deutlicher Kostenanstieg im Material- und Gagenbereich leiteten eine umfassende Produktionsflaute in der deutschen Filmproduktionswirtschaft ein. So formuliert jene Studie die Ausgangslage, vor welcher sich der Arbeitskreis Fachkräftestrategie Film & TV im Februar 2023 unter dem Dach des Media Collective zusammenfand.

Mit dem Ziel, den “gefühlten” Rückgang an Produktionen und an Beschäftigung in der Branche in präzisere Zahlen zu fassen, initiierte der Arbeitskreis Fachkräfte-Strategie eine Umfrage zur aktuellen Beschäftigungssituation und Fortbildungsnutzung. Diese Umfrage wurde im Herbst 2023 in der Branche verbreitet. Erste und vorläufige Rohdaten-Ergebnisse wurden vom Arbeitskreis im Oktober diskutiert und die umfassende Auswertung der erhobenen Ergebnisse vorbereitet. Neben der Untersuchung der Beschäftigungssituation lag ein weiteres Ziel darin festzustellen, ob und in welchem Umfang Aus- und Weiterbildungen in Anspruch genommen wurden, und welche Kriterien hierbei eine Rolle gespielt haben könnten. Die Ergebnisse dieses Teils der Umfrage werden jedoch erst im Frühjahr 2024 veröffentlicht.

Kernfakten und Ergebnisse
Die Auswertung ergab 4 Kernaussagen:

  1. Es ist ein merklicher Produktionsrückgang für 2023 spürbar
  2. Produktionsrückgang erfolgt deutschlandweit ohne regionale Unterschiede
  3. Produktionsrückgang betrifft alle Gewerke und Beschäftigte aller Altersgruppen
  4. Verhaltene Prognose der Filmschaffenden für 2024

Die Ergebnisse bestätigen damit die Herbstumfrage der Produzentenallianz unter ihren Mitgliedsunternehmen (wir berichteten). Darüber hinaus konkretisieren Filmschaffende das Ausmaß des Produktionsrückgangs durch eine klare quantitative Einordnung ihrer Beschäftigungen im Jahr 2022 sowie im Jahr 2023. Sie liefern damit Zahlen, welche Unternehmen in laufenden Geschäftsjahren naturgemäß nicht liefern können oder im hart umkämpften Markt auch schlicht nicht präzisieren wollen. Die Umfrageergebnisse bieten damit in ihrer Methodik einen echten Erkenntnisgewinn in einer chronisch unterbeleuchteten Branche.

Wenn im Laufe des Jahres 2024 solide Wirtschaftszahlen für die Filmproduktionswirtschaft des Jahres 2023 vorliegen, welche ihrerseits mit dem Vorjahr in Bezug gesetzt werden können, wird die vorliegende Studie einen essenziellen Beitrag zu einer fundamentalen Fragestellung leisten können: In welchem Verhältnis stehen Umsatzrückgänge bei Produktionsunternehmen einerseits und der Beschäftigungsrückgang bei verschiedenen Gewerkegruppen in der Filmproduktion im  Marktgefüge in Deutschland zueinander?

Ergebnisse für die Produktionsberufe

Gemessen an der Größe ihrer Verbände sind die Produktionsberufe, im Vergleich zu manch anderer Gewerkegruppe, vergleichsweise schlecht überregional vernetzt. Gleichzeitig bestand bei ihnen zuletzt der größte Personalbedarf. Allein 8 der 16 zuletzt meistgesuchten Filmberufe zählen zu den vom Bundesverband Produktion (BvP) vertretenen Berufen. Erfreulich ist, dass sie in den Ergebnissen der Umfrage keinesfalls unterrepräsentiert sind. 411 Filmschaffende der BvP-Berufe haben an der Umfrage teilgenommen.

Welche spezifischen Antworten gibt die Studie für Produktionsberufe neben ihren Kernaussagen?

  • 43% der Produktioner sind unter 40 Jahre alt, knapp unter dem Durchschnitt der Teilnehmenden, doch 2% über dem Beschäftigungsdurchschnitt in Deuschland. Dafür sorgt der vierthöchste Anteil von unter 30-jährigen vor und hinter der Kamera, und ein relativ geringer Anteil von Beschäftigten über 60 Jahren.
  • Der Anteil von Beschäftigten mit unter 50 Drehtagen pro Jahr stieg im Vergleich zu 2022 um 36%, jener mit unter 100 Drehtagen pro Jahr um 22% und jener mit unter 150 Drehtagen pro Jahr um 2%.
  • Während 2022 eine vergleichsweise hohe Anzahl von 67% der Produktioner ihr Einkommen mit mehr als 150 Drehtagen pro Jahr erzielen konnten, waren es 2023 nur noch 7%, also ein Rückgang von 60% – der mit Abstand höchste Rückgang.
  • Nicht ganz so drastisch fällt der Rückgang der Arbeitstage von Produktionern aus: Ebenfalls 67 % gaben an, im Jahr 2022 mehr als 150 Arbeitstage gehabt zu haben, im Jahr 2023 hingegen immerhin noch 46% – also ein Rückgang von 21%. (Die Diskrepanz in der Anzahl und im Rückgang von Drehtagen und Arbeitstagen ist durch die Auswertungen der Umfrage nicht zu erklären. Die ähnliche Gewichtung von Dreh- und Arbeitstagen im Jahr 2022 könnte auf eine starke Vertretung von Set-Personal bei der Umfrage hindeuten – eine detailliertere Auswertung könnte hier für Aufklärung sorgen. Die relative Stabilität von Arbeitstagen im Vergleich zum Rückgang von Drehtagen wäre hingegen bei Set-Personal nur spekulativ zu beantworten (z.B. durch Zweiterwerbstätigkeiten in set-fernen Jobs).
  • Die Anzahl von teilnehmenden Produktionern mit über 150 Drehtagen, oder gar über 200 Drehtagen im Jahr 2022 ist der mit Abstand höchste Wert unter allen Gewerkegruppen. 41% waren mit über 200 Drehtagen (also 40 Kalenderwochen) im Dreh, und weitere 26% mit über 150 Drehtagen immerhin 30 Kalenderwochen im Dreh. Inklusive Urlaubsanspruch (sofern es sich um Angestellte handelt) wären also 41% aller Produktioner mindestens 92% des Kalenderjahres allein durch Drehtage in Beschäftigung gewesen, und weitere 26% zwischen 86% und 92%.
  • 45 % der teilnehmenden Produktioner sind weiblichen Geschlechts – die Berufsgruppe liegt damit im Durchschnitt aller Teilnehmenden (Anmerkung: De Geschlechtsangabe “Divers” wurde wegen geringer Ergebnis-Repräsentanz nicht ausgewertet).

Allgemein ist auffallend, dass die Gruppe der 50–60-Jährigen aller Teilnehmenden in der Boom-Zeit bis 2022 offenbar die höchste Anzahl von Dreh- und Arbeitstagen auf sich vereinen konnte, während sie diesen Vorteil im 2023 aufgeben musste. Das Beschäftigungsaufkommen dieser Gruppe ist damit hinter jenes der U30-Altersgruppe zurückgefallen. Darüber hinaus scheinen Frauen im Vergleich zu Männern vom Beschäftigungsrückgang überproportional betroffen zu sein. Die Schnittmenge von Faktoren wie diesen weist auf eine Problemstellung hin, welcher in einem nächsten Schritt im gesamtwirtschaftlichen Kontext auf den Grund zu gehen wäre.

Learnings aus der Studie

Wie oben dargestellt kann man von der jüngsten Entwicklung als “Normalisierung” nach einem mehrjährigen Boom der Branche sprechen. Dieser Aussage würden wir uns im Allgemeinen durchaus anschließen, auch wenn sie nicht auf alle Sparten der audiovisuellen Produktion gleichermaßen zutrifft. Für den BvP ist es wichtig, festzuhalten, dass immerhin 13% der Befragten einer Altersgruppe angehören, welche zum einen bisher keine Erfahrungen im Umgang mit Branchenflauten machen konnten, und die gleichzeitig mit ihrer im Einzelfall vielleicht noch überschaubaren Projekt-Vita nun mit einem eher löchrigen Fortgang ihrer branchenrelevanten Erwerbsbiografie konfrontiert sein werden. Für diese ist die gegenwärtige Entwicklung eine neue Erfahrung – sie kehren zu keinem “Normal zurück. Hier besteht Beratungsbedarf.

Allen Filmschaffenden sei empfohlen, die zumindest für das Jahr 2024 prognostizierte Phase einer schwierigen Auftragslage vorausschauend zu nutzen, um Qualifikations- und Weiterbildungsangebote zu nutzen, welche die Ausgangslage für ihre weitere berufliche Entwicklung verbessern. Es ist immer schwierig, in Zeiten der Krise zu investieren. Antizyklisches Denken ist andererseits jedoch auch in der Krise der beste Wegweiser. Und um es klar zu sagen, wer seinen persönlichen Lebensstandard an der deutlich übertariflichen Einkommensbasis eines Produktionsbooms ausgerichtet hat, tut gut daran, in die Resilienz, den Erhalt und die Weiterentwicklung seines persönlichen Standards zu investieren. Denn die nächste Flaute kommt bestimmt.

Antizyklisches Denken ist auch bei der weiteren Entwicklung des Personalwesens der Filmproduktionsbranche gefragt. Es wäre mehr als wünschenswert, dass die Branche Impulse setzt, um jene Gruppen zu fördern und zu fordern, deren Erwerbsbiographien laut der vorliegenden Studie überproportional negativ betroffen sind. Nämlich Frauen und ältere Filmschaffende. Sie wären die ersten, deren Erfahrungsschatz der Branche durch eine vollständige berufliche Umorientierung hin zu vermeintlich sichereren und geordneten Einkommensverhältnissen kurz- bis mittelfristig verloren gehen könnte.

Strategien gegen den Fachkräftemangel von morgen

Der Bundesverband Produktion Film und Fernsehen als Partner des Weiterbildungsverbund Media Collective wünscht sich daher dringend, dass die geleistete Grundlagenarbeit von dessen Arbeitskreis Fachkräftestrategie Film & TV auch nach dem nominellen Ende seiner Arbeit Mitte diesen Jahres in einem neu aufgelegten Format weitergeführt wird.

Die Learnings des Arbeitskreises als Ganzes harren noch ihrer Präsentation. Doch wir sehen deutlich, dass neben weiteren, unter Filmschaffenden breit diskutierten strukturellen Maßnahmen, insbesondere die Bildungsperspektiven – nicht nur für berufliche Einsteiger – weiterer entscheidender Impulse bedürfen, damit der Beruf “Filmschaffender (m/w/d)” im allgemeinen Wettbewerb um die Fachkräfte von morgen neue Perspektiven entwickelt. Hierfür müssen aus unserer Sicht die Bildungsträger, sofern sie überhaupt für passgenaue Angebote für die Branche zu gewinnen sind, stärker in den Fokus genommen werden, ebenso wie die Qualifizierung von Ausbildern und Dozenten aus der fachlichen Praxis. Die Gestaltung berufsbegleitender Bildung unter den Bedingungen des atypischen Beschäftigungsmarktes vom Gros der Filmschaffenden erfordert moderne und wirklich flexible Berufsbildungsmethoden, ebenso wie entsprechende Anreiz- und Förderwerkzeuge. Moderne Berufsbildungsstandards haben das Ziel beruflicher Handlungsfähigkeit proklamiert. Die Fähigkeit und der Raum zum qualifizierten Wissenstransfer stehen in der Filmproduktion seit deutlich über einem Jahrzehnt erheblich unter Druck. Ein “weiter so wie bisher” kann sich die klein- und mittelständisch geprägte Unternehmensstruktur der Filmproduktion nicht mehr leisten, wenn sie eine Zukunft als produzierendes Gewerbe zwischen allen Stühlen in einer personalintensiven Kultursparte mit unterdurchschnittlicher Krisen-Resilienz haben will.

Unser Berufsverband begrüßt es überaus, dass der Spitzenverband der Filmwirtschaft (SPIO) das Thema Fachkräftemangel als Top-Thema der Branche eingestuft hat, also nicht nur für den Bereich der produzierenden Unternehmen, dass sie diese Agenda in Wort und Tat erkennbar werden lässt, und dass ihr Geschäftsführer erst jüngst davor warnte, dass es ein Fehler wäre, hiervon angesichts der momentanen Branchenflaute abzuweichen. Dank an dieser Stelle daher auch für Ressourcen und für das Know-how, welche von der SPIO dem Arbeitskreis Fachkräftestrategie unter anderem für die Auswertung der Umfrage zur Verfügung gestellt wurden.

Weblink zum Weiterbildungsverbund Media Collective

Die Studie als PDF-Download: