Tarifverhandlungen Film und Fernsehen gestartet

Tarifparteien beleuchten in einer ersten Sitzung den Status Quo

Die Gewerkschaft ver.di meldete am 12. Oktober 2023 die Eröffnung der Tarifverhandlungen für Filmproduktionenen unter Beteiligung der Schauspielergewerkschaft BFFS und der Produzentenallianz als Arbeitgebervertretung. Kernforderung der Gewerkschaften ist eine Vier-Tage-Woche – bei vollem Lohnausgleich -, kürzere Tagesarbeitszeiten sowie freie Wochenenden. Auf der Agenda stehen jedoch weitere wichtige Themen, wie eine verbindliche betriebliche Altersvorsorge, die Eindämmung des Einsatzes generativer KI ähnlich wie in den jüngsten Verhandlungen der US-amerikanischen Film-Gewerkschaften, sowie Bemühungen, eine Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrags TV-FFS zu erreichen.

Im Mittelpunkt der ersten Verhandlungsrunde stehen üblicherweise die Betrachtung der aktuellen Markt- und Arbeitssituation der Branche, die Feststellung der bereits vorliegenden Forderungen der Gewerkschaften sowie einer ersten Stellungnahme der Arbeitgeberseite, in welcher eine aus unserer Sicht präzise Darstellung der aktuellen Marktlage als Grundlage für ein vorläufiges Moratorium der bisher geltenden Gagentarife herangezogen wird. Die Fortsetzung der Verhandlungen nach diesem notwendigen und üblichen ersten Austausch der Standpunkte ist für Mitte November 2023 vereinbart.

Schwierige Verhandlungen mit offenem Ausgang zu erwarten

Verschiedene Gründe lassen schwierige Verhandlungen erwarten. Die Ausgangslage sind zunächst umfängliche personelle und strukturelle Neuaufstellungen auf beide allen beteiligten Tarifpartnern. Es stehen also manche Hausaufgaben an, um eine konstruktive Arbeitsbasis für die anstehenden Aufgaben zu schaffen. Ebenfalls gilt es, die Ergebnisse der vorigen Tarifrunde zu evaluieren und nachzujustieren. Hier wird mit neuem Personal vermutlich so mancher vorheriger Kompromiss oder sogar Konsens neu verhandelt werden – wir fragen uns zum Beispiel, was aus der vereinbarten tariflichen Clearingstelle geworden ist. Und nicht zuletzt gilt es, einen Berg sozialpolitischer Themensetzungen tarifpolitisch einzuordnen und kritisch hinsichtlich ihrer Umsetzbarkeit und Wirkungskraft einzuordnen, und zu priorisieren.

Keine leichte Aufgaben, wenn man davon ausgeht, dass sich auch die Tarifpartner der zunehmenden Polarisierung und Popularisierung der gesellschaftlichen wie  politischen Debatten nicht in Gänze entziehen können. Die gesellschaftspolitische Maxime der Kompromissfindung und des Interessenausgleichs ist allerorten erheblichen Angriffen ausgesetzt, oder zumindest dem Druck, rasch zu Neujustierung des Bestehenden zu kommen, wider einem prozessualen Denken.

Gleichzeitig lassen eine veritable Branchenkrise mit sinkenden Auftragszahlen, eine unsichere internationale Branchenentwicklung und die nun endlich anstehende Neuaufstellung des deutschen Filmfördersystems die berechtigte Frage aufkommen, in welchem Maße teils gänzlich neue tarifpolitische Forderungen in einer Nischenbranche wie der Filmproduktionswirtschaft auf absehbare Zeit prototypisch umsetzbar sind, ohne das Marktgeschehen hiermit zusätzlich zu belasten. Kurz gefasst stellen sich viele die Frage, mit welchem Geld substanzielle soziale Rahmenveränderungen finanziert werden sollen, ohne dass dabei ein erheblicher Teil von Marktteilnehmern auf Unternehmens- und auf Beschäftigtenseite mit ihrem jeweiligen individuellen Finanzbedarf auf der Strecke bleibt.
Exemplarisch für diese Problemlage in ihren zahlreichen Facetten steht die Hauptforderung einer Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich seitens der Gewerkschaft ver.di. Es bedarf einer gehörigen Portion Phantasie, um sich vorzustellen zu können, wie Kompromisse in dieser Frage überhaupt aussehen könnten, und wie der Rahmentarifvertrag danach aussehen würde – ein ambitioniertes Vorhaben, selbst wenn alle einer Meinung wären.

Davon ist jedoch nicht auszugehen, auch nicht unter den Filmschaffenden selbst. Die im Arbeitskreis Fachkräftestrategie des WBV Media Collective des Erich Pommer Institut in der Vorwoche präsentierten ersten groben Auswertungsergebnisse der Umfrage zur Auftragslage der Branche legen nahe, dass der Anteil jener, welche mehr als 100 Drehtage pro Jahr absolviert hatten, von 35% im Jahr 2022 auf 22% im Jahr 2023 geschrumpft ist, und 26% im gesamten Jahr 2023 auf weniger als 50 Drehtage kamen. Auch wenn die Anzahl von Drehtagen allein kaum Rückschlüsse auf das tatsächlich erzielte Jahreseinkommen zulassen, so spricht der Vergleich zwischen den Jahren doch eine deutliche Sprache, dass ein erheblicher Teil der Filmschaffenden Einbußen zum zuletzt erzielten Einkommen hinnehmen mussten. Auch wenn in den Boom-Jahren viele ein überdurchschnittliches Einkommen sicherlich nutzen konnten, um die während der Corona-Pandemie entstehenden Verwerfungen wieder auszugleichen, so muss doch davon ausgegangen werden, dass die seither andauernden Dauer-Krisen und die hohe Inflation keinerlei Grund für Entspannung bieten dürften. Übertarifliche Gagenbestandteile dürften zuletzt in ihrer Wirkung auf die reale Kaufkraft rasch nivelliert worden sein, oder schlimmer. Die Begeisterung über ein durchklingendes Gagen-Moratorium dürfte also bei vielen begrenzt ausfallen.

Wie wirksam ist der Tarifvertrag TV-FFS?

Und überhaupt ist mit der verkündeten Hauptforderung durchaus das Risiko verbunden, die mittel- bis langfristigen Strategieziele bisheriger Tarifverhandlungen aus dem Blick zu verlieren, nämlich Mehrheiten für eine bessere soziale Absicherung der Filmschaffenden mit und durch den Tarifvertrag zu erreichen – sei es in Form einer verbindlichen Regelung für die betriebliche Altersvorsorge oder eine branchenweiten Allgemeingültigkeit des Tarifvertrags, eine auch im freien und harten Wettbewerb von Produktionsfirmen eine durchaus nicht abwegige Perspektive auch für die Unternehmen.

Außerdem scheint kaum jemandem aufzufallen, dass die Tarifparteien scheinbar nicht so weit sind, an der Entwicklung von nachhaltigen Personalentwicklungsmöglichkeiten in der Branche aktiv mitzuwirken, genauer: an der Finanzierung von Qualifizierungsmöglichkeiten für Filmschaffende und deren Nachwuchs, obwohl Fragen der gegenwärtigen, und weiterhin ungebremsten Folgen eines Fachkräftemangels innerhalb der Branche bereits aktiv behandelt werden. Der Filmbranche droht in ihrem scheinbaren, strukturellen Revival der goldenen Zeit des Dilettantismus, endgültig und unwiderruflich den Blickkontakt zu bundesdeutschen Standards beruflicher Qualifikation zu verlieren. So sehen es jedenfalls die schärfsten Kritiker.

Dem BFFS scheint zu verdanken, dass immerhin ein wichtiges und scheinbar “tariffremdes” Thema, nämlich die Vertrauensstelle Themis zumindest Erwähnung in den aktuellen Verhandlungen findet. Dieses Thema berührt einen immerhin unstrittigen und tatsächlichen Bedarf zum Schutz der schwächsten Teilnehmer:innen eines harten und an jegliche Grenzen stossendesn atypischen Arbeitsumfelds unserer Kreativbranche – ein integrales Leitthema gewerkschaftlicher Arbeit. Ob es in Tarifverhandlungen richtig aufgehoben ist oder nicht, wird sich noch zeigen müssen. Ob entsprechende Ergebnisse dann geeignet wären, jene Löcher zu stopfen, die eine Investitionsverpflichtung für Auftraggeber (Streamer und TV-Sender) in das Budget der Vertrauensstelle zu reißen droht, wenn derlei Investitionen in strukturelle Bedarfe der Branche nicht als gleichwertig wie Investitionen in ihren Produktions-Output anerkannt werden, darf man zumindest anzweifeln.
Es bleibt spannend.

Informationen aus erster Hand

Die ver.di FilmUnion bietet zusammen mit dem BFFS am Samstag, 21. Oktober um 11:00 Uhr eine Online-Informationsveranstaltung an, um über die Tarifforderungen, deren Durchsetzung und den aktuellen Stand der Verhandlungen zu informieren. Unter dem folgenden Link oder über den QR-Code erfolgt die Einwahl: https://verdi.webex.com/verdi/j.php?MTID=md019841d0abd3f89fbbd99aa3d439ea8