Die BvP Corona-Konferenz – Eine Nachlese

Update 2021 – Auf dem langen Weg zur Durchimpfung
Wie tragfähig sind die Hygienekonzepte in der Filmproduktion?

Der Branchenstandard zur Umsetzung von Corona-Schutzmaßnahmen für Filmproduktionen wurde in einer Branchenumfrage der Fachzeitschrift Blickpunkt:Film von befragten Produzent*innen als funktionabel und tragfähig bezeichnet.
Dieser Eindruck wird in der Konferenz “Corona 2021 – Update und Perspektiven für die Filmproduktion”, den der Bundesverband Produktion Film und Fernsehen e.V. am 20.Februar 2021 online veranstaltete, weitgehend bestätigt.

Die Teilnehmer*innen der Veranstaltung aus mehreren Gewerken und Verbänden diskutierten das Thema anhand aktueller Berichte und Fragestellungen zusammen mit den als Experten geladenen Gästen: der Arbeitssicherheits-Koordinatorin Maria Spisic (Sony Pictures), der Coronaschutz-Koordinatorin Sandra Zündel, Martin Voggenauer (BG ETEM) sowie dem Host der Konferenz, dem Produktionsleiter Sebastian Neitsch (BvP).

Erfolgreicher Infektionsschutz erfordert dynamische Anpassungen

Jedes vermeintlich tragfähige Konzept hat seine Grenzen, seine Knackpunkte und so manche Fallstricke in der Praxis.
Der Fallstrick für den Coronaschutz in Filmproduktionen liegt in der dynamischen Anpassung seiner Leitpunkte an die besonderen Anforderungen im jeweiligen Projekt und an die örtliche Entwicklung der Pandemie – an den Drehorten selbst, wie im Produktionsumfeld.
Gerade im internationalen Kontext offenbart sich gleich ein ganzes Bündel an praktischen Fallstricken. Sie reichen von der zusätzlichen Beachtung von Quarantäne- und Test-Vorschriften bei Reisen zwischen Risiko- und Hochrisikogebieten über den Ausschluss von Schadenfällen im Ausland von den Ausfallfonds I und II von Bund und Ländern bis hin zur aufwendigeren Reise- und Transportlogistik. Und dies in Verbindung mit dem ohnehin immens hohen Aufwand für Einzelfall-Bewertungen – eine Mammut-Aufgabe für den Organisationsstab selbst bei Unterstützung durch die Coronaschutz-Koordination.

Kontrovers diskutiert wurde in der Konferenz die Frage, bis zu welchem Punkt die besonderen “Schutzstufen” zur Absicherung ungeschützter Tätigkeiten für Darsteller vor der Kamera denn noch einen besonderen Schutz darstellen, wenn die damit verbundenen Maßnahmen die im Lockdown gültigen Standard-Vorschriften für die Gesamtbevölkerung kaum noch übertreffen.
Diese Frage lässt sich nur dann mit einem “Ja” beantworten, wenn man den Maßnahmen am Filmset in Theorie und Praxis tatsächlich die Annahme zugrunde legt, dass jeder Mitarbeiter eine potentiell infizierte Person darstellt.
Aktive Schutzmaßnahmen dürfen nicht daran bemessen werden, dass es gelingen könne, Infizierte durch präventive Testungen zu identifizieren.
Vorkommnisse mit mehr als nur einer infizierten Person in Filmproduktionen, Schutzmaßnahmen, die nach Ernstfällen plötzlich strenger umgesetzt werden, und auch der offensichtliche Notbehelf von Grenzkontrollen im nationalen Rahmen sprechen eine klare Sprache, wo der Fokus erfolgreicher Prävention tatsächlich liegen muss.
Wenn bei hohen Inzidenzwerten das Test-Monitoring von den “exponierten” Darstellern auf weitere direkte Bezugspersonen am Set ausgeweitet wird, muss eines klar sein: Diese Ersatz-Schutzmaßnahme setzt die strenge Durchführung der grundlegenden Hygieneschutz-Maßnahmen am gesamten Drehort und auch im Privatleben des “ersatzweise” abgesicherten Personenkreises zwingend voraus.

Dies allein wäre Grund genug, dass wir in unseren Bemühungen um einen effektiveren betrieblichen Coronaschutz keinen Millimeter nachlassen dürfen.
Hinzu kommt, dass angesichts der weiteren Dynamik der Pandemie durch Virus-Mutationen und der sinkenden Wirksamkeit von Infektionsschutz-Anordnungen in der Zivilgesellschaft der unverminderte Einsatz der letztlich wenigen Schutz-Instrumente erforderlich ist, die uns überhaupt zur Verfügung stehen.
Auf dem langen Weg vor uns, bis die Impfkampagne Auswirkungen auf die Bewertung des Gesamtrisikos von Covid-19 haben wird.

Im Gegenteil: Herr Voggenauer von der BG ETEM merkte an, dass die neuen Virus-Mutanten eine Anpassung der Kontaktdauer als Bezugsgröße von Schutzstufen-Konzepten erfordern könnte, oder dass alternativ auch die Schutzstufen höher gewählt und die Konzepte weiter gefasst werden müssen.
Die Regeln des Arbeitsschutz sind klar: Es können und müssen alle verfügbaren Möglichkeiten genutzt werden, um erhöhte Risiken adäquat zu kompensieren.

Er zeigt sich verwundert, dass – vor dem Hintergrund der oben dargestellten Schwierigkeiten in der Einzelfall-Betrachtung – seitens der Filmproduktionen kaum je Arbeitsmediziner eingebunden werden. Die Wahrheit ist allerdings, dass der Großteil der Herstellungs- und Produktionsleiter schlicht keine Erfahrung in der Einbindung von Arbeitsmedizinern hat….weil die meisten klein- und mittelständischen Produktionsfirmen nach wie vor keinen haben.
Eine arbeitsmedizinische Beratung entsprechend der arbeitschutzrechtlichen Vorschriften bedarf eines Rahmenvertrags. Dies scheitert in der Regel aus Unkenntnis der Unternehmer oder wegen eines kaufmännischen Zielkonflikts im Hinblick auf Fixkosten ohne unmittelbaren Nutzen.

Kann das nötige Wissen stillschweigend vorausgesetzt werden?

Es ist hervorzuheben, dass eine Befragung der Konferenz-Teilnehmer ergab, dass wir nach wie vor nicht davon ausgehen dürfen (und nie durften!), dass alle Filmschaffenden inzwischen zu souveränen Corona-Profis in ihrem Tätigkeitsfeld geworden sind – stets gut vorbereitet und informiert.

Gute Kommunikation, wiederholte Unterweisungen und ein Austausch auf Augenhöhe sind essentielle Elemente, um eine Wirksamkeit der im Betrieb festgelegten Maßnahmen, die sich von Projekt zu Projekt durchaus unterscheiden können, überhaupt zu erreichen. Dasselbe gilt, um die Frustration zu kompensieren, die selbstredend auch unter Filmschaffenden und auch Produzenten durch permanent defensiv ausgerichtete Verhaltensweisen und Vorschriften stetig steigt.

Es ist keine Option – weder im Kampf gegen die Pandemie noch im Versuch des Erhalts unserer Branche als Ganzes – in einer Zeit wie dieser im gegenseitigen Austausch nachzulassen, oder auch nur einen Teil der Akteure im Zweifel einfach sich selbst zu überlassen.

Der Branchen-Hygienestandard in Form der branchenspezifischen Handlungsempfehlungen der Berufsgenossenschaft BG ETEM präzisiert die allgemeingültigen betrieblichen Schutzmaßnahmen für die bei der Umsetzung von Dreharbeiten typischen Tätigkeiten. Und er ergänzt  diese um ein sogenanntes Schutzstufen-Modell für “jene Tätigkeiten vor der Kamera, bei denen die Einhaltung der vorgeschriebenen Kontaktbeschränkungen nicht umsetzbar sind”, wenn zuvor unter Einschluss kreativer Aspekte alle Möglichkeiten zur Vermeidung ungeschützter Kontakte ausgeschöpft wurden.
Das Schutzstufen-Modell beinhaltet eine Kombination aus engmaschigem Testungs-Monitoring sowie verschärften Regeln zur Kontaktreduzierung an Arbeitsstätte und im Privatleben, die auf Umfang und Art der ungeschützten Interaktion bei der Arbeit vor der Kamera abzustimmen ist.
Der ungeschützte Kontakt (also ohne Maske und Mindestabstand) ist dabei nur zwischen Darstellern erlaubt, welche die Bedingungen der jeweiligen Schutzstufe erfüllen. Mit Darstellern sind hier sämtliche Akteure vor der Kamera gemeint.

Weiterführende Informationen:
medien.bgetem.de – Branchenspezifische Handlungshilfe “Filmproduktion” (SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard)
WirSind1Team.de – Maßnahmenkonzept SARS-CoV-2 & Anlage Arbeitspapier für ungeschützte Tätigkeiten